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Translation - German Wadim Rudnjew Geld und Ödipuskomplex in der sowjetischen und postsowjetischen Gesellschaft
Da ich ein Wittgenstein-Schüler bin, fühle ich mich - im Gegensatz zu meinem Vorredner –unter der österreichischen Fahne keineswegs unbehaglich. Da ich aber auch ein Kind der Breschnew-Epoche bin, werde ich meinen Beitrag lesen. Ich möchte Sie im Voraus dafür um Verzeihung bitten.
Es wird allgemein angenommen, der frühe Bolschewismus habe seine Ideologie dem frühen Christentum entlehnt, das sich durch eine asketische Lebensweise und insbesondere eine ablehnende Haltung zu Geld auszeichnete. Im Urchristentum hätte es keine derartige Einrichtung wie die Kirche gegeben. Es sei aber gerade die Kirche, die Gotteshäuser erbaue und Kirchensteuer einhebe. Jesus habe nichts dergleichen verfügt, er habe zu kompromissloser Armut aufgerufen.
Aber ist das wirklich so?
Eigentlich ist die Heilige Schrift eine Sammlung von Geschichten, in denen - so sonderbar es auch scheinen mag – das Geld eine der Hauptrollen spielt. Zum Beispiel das Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Hier bestraft der Herr seinen Knecht dafür, dass jener das vom ihm erhaltene Geld nicht zu den Wechslern gebracht hat, um es zu vermehren (Mat. 25,14-30). Die Geschichte mit den dreißig Silberlingen (Mat. 26,14-16). Oder die Episode, die als „der Zins des Kaisers“ bekannt ist (Mat. 22,15-22).
Dass Geld etwas Böses sei, etwas, wofür man sich zu schämen habe, worüber man besser nicht spricht, dass man nicht viel verdienen soll u.s.w. - all das kommt natürlich von den Bolschewiken. Aber welchen historischen Ursprung hat diese Einstellung? Man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass dieser vermutlich im Gnostizismus oder in extremen Formen des Katholizismus, in Bettelmönchorden liegt.
Wie Sie wissen, wird Geld in der psychoanalytischen Tradition immer mit Exkrementen in Verbindung gebracht (das bekannte Beispiel Freuds darüber, dass ein Einbrecher am Ort des aufgebrochenen Safes einen „Haufen“ als Gegenwert für das Gestohlene zurücklässt. Auch die berühmte lateinische Redewendung „non olet pecunia“ (Geld stinkt nicht) ist mit eben diesem Problemkomplex verbunden. Sie wird dem römischen Kaiser Titus Flavius Vespasian zugeschrieben. Er soll das zu seinem Sohn gesagt haben, als er eine Steuer auf öffentliche Bedürfnisanstalten einführte. Vergleichen wir nun die drei Entwicklungsstadien der kindlichen Sexualität (die orale, anale und genitale Phase) bei Freud mit den drei ökonomischen Gesellschaftsformationen (Feudalismus, Kapitalismus und Sozialismus-Kommunismus) bei Marx. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Bolschewiken von der Idee angetan waren, vom Feudalismus direkt zum Sozialismus überzugehen, und dabei den Kapitalismus, also das anale Stadium (= Geld), zu überspringen. Die Widernatürlichkeit der Wirtschafts- und Sexualerziehung unter der Sowjetmacht zeigte sich nicht nur in der Perversion des kapitalistischen Kultes um das Geld, sondern auch in Perversion des Ödipuskomplexes selbst.
Der unsterbliche Gott-Vater der sowjetischen Gesellschaft war Stalin. Lenin war eher der Gottessohn. Nicht umsonst nimmt sein misslungener Märtyrertod im Jahre 1918 einen derart wichtigen Platz in seiner Biografie ein.
Der Kult um Gott-Vater Stalin und Gott-Sohn Lenin in ihrer „Wesenseinheit“ („Stalin – das ist der heutige Lenin“) führte zwangsläufig dazu, dass der einfache Sowjetbürger seinen eigenen Vater als potentiellen Volksfeind hasste. Der leibliche Vater wurde nicht als Vater, sondern eher wie ein Stiefvater wahrgenommen. Lassen Sie mich das etwas genauer ausführen: Da in der Sowjetunion jeglicher sexueller Diskurs verboten war, und da ein typisches sowjetisches Kind im Unterschied und im Gegensatz zu einem westlichen Kind an nichts dergleichen denken durfte, kam es ihm auch nicht in den Sinn, dass sein Vater und seine Mutter eine sexuelle Beziehung haben könnten, und wenn es ihm doch in den Sinn kam, so lehnte es diese Idee als etwas Absurdes und Widersinniges ab, und deshalb war für ein sowjetisches Kind der Vater das selbe wie für ein westliches Kind der Stiefvater. Wozu brauche ich einen Vater, wenn ich Stalin habe? – dachte das sowjetische Kind. Die Realität gab ihm keine Antwort, außer jener, dass es Recht hatte und dass dieser Quasi-Vater wirklich nicht gebraucht wird, sondern nur schädlich ist. Es gibt doch den wirklichen Vater – Stalin, und diese Tatsache reicht vollkommen aus, um glücklich zu sein. Und wenn das wirklich so ist, dann ab mit dir ins Lager, falscher Vater! Dies ist eine Erklärung dafür, warum es in den 30er Jahren so einfach war, mit den Vätern abzurechnen. Es handelte sich quasi um einen ideologischen sekundären Ödipuskomplex.
Bleibt aber noch die Mutter. Sie wurde mit Hilfe des in der mittelalterlichen Rus verbreiteten Mutter-Gottes-Kultes erwürgt. Wenn der wirkliche Vater Stalin ist, so ist die wirkliche Mutter die Heimat, jenes grauhaarige Mütterchen aus dem Roman Gorkis, der der eigentliche Schöpfer dieses Paradigmas ist (ein böser, saufender Quasi-Vater, ein Märtyrersohn, der dem Volk eine neue Lehre überbringt und eine Mutter, die sich neben den Sohn stellt, folgt; in der Rolle Gott-Vaters stellvertretend Maxim Gorki selbst). Die Bolschewiken haben die orthodoxen Werte so geschickt manipuliert, dass sie den sowjetischen Bürger vom Ödipuskomplex erlöst haben. Wen sollte man umbringen? Stalin, das Genie aller Zeiten und Völker? Die Koryphäe aller Wissenschaften? Mit wem soll man schlafen? Mit dem energischen, grauhaarigen Mütterchen? Mit der Heimat?!
Wie eingangs erwähnt, wird allgemein angenommen, der frühbolschewistische Kommunismus habe sich aus dem frühen Christentum entwickelt. Auch Berdjajew und Toynbee waren dieser Ansicht. In Wirklichkeit ist es aber so, dass es all dies im frühen Christentum nicht gab. Christus liebte auf seine Art und Weise die Frauen, er behandelte sie mit Zärtlichkeit und Toleranz. Maria Magdalena war ihm eine Freundin. Als die Pharisäer vorschlugen, die Sünderin zu steinigen, sagte Jesus bekanntlich: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“
An sich steht in der Bibel nirgends geschrieben, dass Sex nicht erlaubt sei. Jesus war ein durchaus gemäßigter Prediger. Erst die Gnostiker und Bolschewiken haben aus ihm einen Asketen gemacht.
Die Sowjetmacht wollte das Geld überhaupt abschaffen, oder ihm nur mehr eine nominale Funktion zugestehen. Dieses Ziel hätte sie auch fast erreicht. Das sowjetische Geld war Spielzeuggeld. Es war nicht konvertibel. Der simple Geldwechsel Rubel-Westwährung war in der Sowjetzeit ein schweres Verbrechen.
Das Ideal war utopisch: Das Geld sollte ganz verschwinden. Dazu regte auch die eigene Erfahrung an, die besagte, dass man kein Geld brauchte. In Erinnerungen an Stalin und Molotow lesen wir, dass diese Männer lange Zeit überhaupt kein Geld zu Gesicht bekamen. Eine utopische Realität. In der Utopie gibt es kein Geld. So wie es zum Beispiel bei „Winnie Puuh“ kein Geld gibt. Es wird dort auch überhaupt nicht gebraucht. Der Esel sammelt seine Disteln direkt vor seinem Haus, ebenso wie das Ferkel seine Eicheln. Honig und Milch bekommt Winnie Puuh bargeldlos von Christopher Robin. Eigentlich war die geldlose sozialistische Welt mit all ihren Erschießungen, Gefängnissen, Gulags, Schuldvermutungen und anderen mathematisch berechneten Repressalien ebenso infantil wie die Welt von „Winnie Puuh“. Wir besuchten uns auch gegenseitig, wir blieben auch im Kaninchenbau stecken, haben ebenso versucht abzumagern, entzifferten auch unleserliche Botschaften, haben auch den Nordpol entdeckt. Das Leben war toll. Und natürlich - in Anlehnung an den lateinischen Spruch - nach Geld stank es absolut nicht. Deshalb waren wir, als wir in das kapitalistische Stadium eintraten, seiner Schönheit und Größe völlig hilflos ausgeliefert. Große Geldsummen düngten uns wie ein Wunder aus einem Märchen. (Nicht von ungefähr erinnerten die ersten Häuser der Neuen Russen entweder an kafkaeske oder an Märchen- Schlösser.) Und wir behandelten das Geld, als wäre es ein Wunder. Deshalb hatten bei uns auch die Finanzpyramiden solchen Erfolg.
Aber der größte phänomenologische Fehler jener Jahre war die Gleichsetzung des Geldes mit einer Zahl, einer Summe. Geld ist keine Zahl und keine Summe, sondern ein schwieriges und äußerst qualitatives Konzept. In Wirklichkeit kommt das Wort „Geld“ selten in einem Kontext vor, in dem eine Zahl auftritt. „Dreißig Rubel Geld“ – das Wort „Geld“ ist hier redundant. Man sagt einfach dreißig Rubel. Die üblicheren und häufiger gebrauchten (Wort)Verbindungen mit dem Wort „Geld“ sind rein qualitativ: Ich habe viel Geld; Ich habe wenig Geld; Ich habe Geld; Ich habe kein Geld; Ich habe mehr (weniger) Geld als er.
In der ganzen Idiomatik rund um das Geld wird es als qualitatives Substrat dargestellt: ohne Geld dastehen, Geldsack, Geld wie Mist, mit Geld um sich werfen, Geld wie Heu, Zeit ist Geld...
Andererseits muss der Begriff Geld auch Quantität umfassen – das reale Geld existiert ja in Form einer bestimmten Menge. Worin besteht nun das Wesen dieses Widerspruchs? Offensichtlich darin, dass die qualitativen Charakteristiken des Konzeptes „Geld“ beständig sind – immer, zu allen Zeiten, konnte man Geld in Waren umtauschen, sparen oder im Gegensatz dazu „damit um sich werfen“, man konnte um Geld betteln, es stehlen und rauben, jemandem Geld schenken oder abnehmen und so weiter.
Aber das quantitative Charakteristikum des Geldes ändert sich ständig, so wie sich jeden Tag in geringerem oder höherem Ausmaß der Kurs aller Währungen der Welt ändert. Das offensichtlichste Beispiel für die Unbeständigkeit des quantitativen Charakteristikums, welches mit dem Konzept „Geld“ verbunden ist, ist natürlich die Inflation. Nehmen wir die Wortverbindung „Tausend Rubel“. Tausend Rubel – das war einmal sehr viel Geld.
Nach der Gaidarschen Reform im Januar 1992 erfuhr die Wortverbindung „Tausend Rubel“ eine Reihe von Veränderungen. Die russische Sprache wurde durch den Umstand verformt, dass das Wort „Tausend“ nun an Stelle von teuren Sachen, nur mehr übliche und billige Dinge bezeichnete. Bis Ende 1997, also bis zur Währungsreform, bezeichneten „Tausend Rubel“ eine real immer geringere Summe. Im Verständnis des Russisch sprechenden Menschen fand eine quantitative Abwertung des Begriffes „Tausend“ statt.
Ein Grossteil der Russen hat nie das positive und antientropische, kreative Wesen des Geldes verstanden. Sie sahen es als bedrückende Zahl, von der man sich schnell befreien muss. Daher kommt auch der Vergleich von Geld wie Mist, und der Ausdruck „mit Geld um sich werfen“. Anscheinend hängt das teilweise mit fehlender Individualität, mit einer Irrationalität im russischen Nationalcharakter zusammen (Georg Simmel war der Meinung, dass Geld als soziales Konzept mit Individualität und Rationalität positiv korreliert).
Aber das Wichtigste ist, und hier wiederhole ich mich, dass das sowjetische Volk fast seiner analen Entwicklungsphase und beinahe gänzlich der Ödipusphase beraubt wurde. Es wurde ihm mit Gewalt verwehrt, etwas über die Grundlagen der Macht, und insbesondere der Macht des Geldes zu lernen. Praktisch der kapitalistischen Aggressivität der analen Phase beraubt und ausgestattet nur mit einer atrophierten Brutkastensexualität, trat das sowjetische Volk, völlig unreif, in die Geldepoche ein - mit einer unausgeprägten, unfertigen symbolischen Beziehung, von Angesicht zu Angesicht mit der Realität, wie Lakan sagen würde. Stellen sie sich ein Kind vor, das der Mutterbrust entrissen wurde und in irgendeinem künstlichen Umfeld ohne soziale Kontakte untergebracht wird. Nachdem es biologisch erwachsen wurde, nimmt man es plötzlich aus diesem Umfeld heraus und bringt es in einem herkömmlichen sozialen Gefüge unter. Es liegt auf der Hand, dass die Chancen eines solchen Individuums zu überleben, erheblich geringer sind als jene eine normalen Kindes, welches die anale Phase und den Ödipuskomplex durchlebt hat und symbolische Beziehungen zur Realität aufgebaut hat. Das heutige Russland erinnert natürlich an das erstere der beiden Kinder.
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Translation education
Master's degree - University of Innsbruck/Austria
Experience
Years of experience: 26. Registered at ProZ.com: Jun 2002.
Adobe Acrobat, Microsoft Excel, Microsoft Word, Powerpoint, SDLX, Trados Studio
Bio
freiberufliche Übersetzerin seit 1998
Studium der Translationswissenschaft (Sprachenkombination Englisch/Russisch mit Deutsch als Muttersprache) an der Universität Innsbruck
Studium der Publizistik, Anglistik und Russistik an der Universität Salzburg;
Spezialgebiete
* Telekommunikation (insbesondere Unified Messaging Systems) und Netzwerktechnik
* Softwarelokalisierung
* ausgewählte Bereiche der Medizin (Pharmakologie, Immunologie, Onkologie, Virologie)
* Tourismus (inkl. Beauty&Wellness, alternative Medizin, Thalassotherapie, Farblichtherapie, chinesische Medizin...)
* Natur, Umwelt und Tiere (Limnologie, Aquaristik, Reit-/Pferdesport usw.) bisherige direkte Übersetzungsaufträge unter anderem für: Österreichische Historikerkommission
Kulturrätin der Österreichischen Botschaft in Moskau SOS-Kinderdorf-Organisation TIWAG (Tiroler Wasserkraft AG) Institut für Tourismus und Dienstleistungswirtschaft der Universität Innsbruck Robinson Club GmbH
hauptsächlich Übersetzungsaufträge für Großkunden von internationalen Übersetzungsagenturen
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